Unsere Straße – Die Schlossstraße
Wie in jedem Jahr an dieser Stelle ein Beitrag unseres langjährigen Freundes Willi K. Michels. Er stammt aus seiner Serie „Unsere Straße“, die Anfang der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts in der Rhein-Zeitung erschien. Die Bilder stammen wieder aus meiner Sammlung. Wenn man diesen Artikel liest, wird einem bewusst, dass auch die letzten 30 Jahre ohne Kriegseinwirkung gewaltige Veränderungen in Koblenz hinterlassen haben. Insbesondere die Schlossstraße ist dabei in den letzten Jahren einem großen Wandel unterworfen worden.
Es ist kurz nach sechs Uhr. Ich stehe am Löhrrondell. Meine Blicke wandern über die noch stille und leere Schlossstraße bis hin zum in der Ferne im ersten Sonnenlicht erstrahlenden Schloss. Vier Autos liefern Ware aus. Zwei Hunde streiten sich. Eine Katze springt auf eine Mülltonne. Erschreckt fliegen Tauben hoch. Morgenidylle in Koblenz, im Zentrum einer Großstadt. Dass es so etwas noch gibt!
Blick vom Löhrrondell in Richtung Schloss um 1900
Die Ruhe verleitet zum Träumen. Die Gedanken wandern zurück zu jenen Zeiten Anfang des 19. Jahrhunderts, in denen die Schlossstraße entstand. Gleich im Anschluss an die Errichtung der Neustadt und des Schlossrondells ging man, gedrängt vom Kurfürsten Clemens Wenzeslaus, an den Ausbau der zunächst nach ihm „Clemensstraße“ benannten neuen Achse von Koblenz, der Schlossstraße.
Bis 1816 standen nur auf der breiten Avenue vom Schlossrondell bis zur Casinostraße die ersten Häuser, denen Ziergärten vorgelagert waren. Ab 1817 wurde dann die Schlossstraße in verengter Form bis zum Löhrrondell durchgezogen.
1898 machte der oberste Teil der Schossstraße noch einen sehr vornehmen Eindruck
Vornehme Prachtstraße
Fortan war die vornehme Prachtstraße Treff des wohlhabenden Bürgertums. Nach und nach wurde sie auch Geschäftsstraße. Heute gehört die Schlossstraße zum gern besuchten Einkaufsrevier mit über siebzig Geschäften und schätzungsweise 100 Büros aller Art. Neben der Casinostraße und der Viktoriastraße, die die Schlossstraße kreuzen, sorgen zusätzlich drei Passagen für günstige Verbindungen zu den nördlichen und südlichen Nebenstraßen. Eine vierte Anlage dieser Art, die in Koblenz besonders beliebt zu sein scheint, kam im Dezember hinzu: die RZ-Passage, (zwischen Schloss- und Stegemannstraße) mit rund einem Dutzend Geschäften und gastronomischen Betrieben.
Zentrum wurde das RZ-Forum „Rotation“ für vielerlei Veranstaltungen. Der gute Treffpunkt trägt nicht zuletzt deshalb den Namen Rotation, weil an gleicher Stelle viele Jahre die Zeitung gefertigt wurde, bevor die RZ ihren Hauptbetrieb nach Wallersheim verlegte.
Zurück zur Vergangenheit. Josef Görres hatte dort sein Haus Nummer 7, das er 1816 an Max von Schenkendorf vermietete. Der bekannte Baumeister Johann Claudius von Lassaulx wohnte hier ebenso, wie Helmut von Moltke oder Paul von Hindenburg.
Hotel Monopol und Schloß-Cafe
1896 eröffnete das vornehme Hotel „Monopol“ seine Pforten, unweit vom Löhrrondell. Es hatte sogar schon elektrische Beleuchtung. Der Gasthof Maiwald, Schlossstraße 27, pries seine Zimmer mit Frühstück für 2,25 Mark an.
Bis Kriegsende 1945 bekannt und beliebt waren neben dem „Monopol“ die Hotels „Germania“ und „Bergischer Hof“, das Cafe Keller und das Cafe Vogt, vorher Cafe Waldrich. Seit 1908 haben die Puths in der Schlossstraße ihr Stammhaus, früher Bäckerei, heute Café. Bekannt war auch die Bäckerei Pickel.
Noch jetzt reden die Leute vom Schloss-Cafe der Familie Graß. Im ersten Stock war die Bar „Grüner Teppich“ Ziel der Nachtschwärmer. Marianne Vogt, Tochter des Gastronomen Graß, nun Wirtin in der Sophienhöhe in Pfaffendorf, erzählt mir oft aus ihrer Zeit in der Schlossstraße. Spätestens beim dritten Glas Wein wird von der Kapelle Morgenroth geschwärmt, die täglich im Schloss-Cafe spielte. Dann wird geplaudert vom Kurt Keller, vom Juwelier Müller, dem unverwüstlichen „Lampen-Wolf“, vom Fotografen Menzel, dem Drucker Sträub und vom jüdischen Mitbürger Dr. Keich, der an der Schlossrondellecke seine Privatklinik hatte.
Das Schloss-Café anlässlich der Kaisertage 1905
Völlige Vernichtung im Krieg
Der Krieg brachte die fast völlige Vernichtung der Schlossstraße. Eine der ersten Sprengbomben, die im April 1942 fielen, traf das Schloss-Cafe. 1944 war die Schlossstraße nur noch ein Trümmerfeld. Es erscheint wie ein Wunder, dass sie dreißig Jahre später wieder aufgebaut ist. Eine der letzten beiden Baulücken wird zur Zeit geschlossen. 1958 eröffnete die Industrie- und Handelskammer am Schlossrondell/Ecke Schlossstraße ihr neues Haus, nachdem sie zuvor viele Jahrzehnte in der Clemensstraße residiert hatte. Adi Zimmermann, früherer Verwaltungsdirektor der IHK, übrigens 1923 Mitgründer des VfB Lützel, erinnert sich noch genau an seine Jahre von 1921 bis 1971 bei der Kammer, die heute neben der Sparkasse, der Kevag, der EVM, Behörden, Banken, Versicherungen, Arzt- und Anwaltspraxen diesem pulsierenden Geschäftszentrum ihre Akzente verleiht.